2003 freute sich der damalige Wirtschaftsminister Dr. Horst Rehberger, dass die damalige Ansiedlungsoffensive durch Fördermittel viel Zuspruch fand und so ein Investitions-Boom im produzierenden Gewerbe in Sachsen-Anhalts auslöste. In einer Pressemitteilung1 vom 27.08.2003 gab das Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt verschiedene Fördermittelbegünstigte bekannt, darunter auch der amerikanisch-britischen Feuchttücherhersteller Nice-Pak (USA/UK). Mit einer Meldung2 aus September 2005 zog Rehberger Bilanz und veröffentlichte einige Fördermittelbeträge. Das Projekt der Ansiedlungsoffensive brachte Nice-Pak ein Investitionsvolumen von 23 Millionen Euro. Doch was nun?
Still und leise will sich Nice-Pak jetzt wieder auf den Weg nach England machen. Während man in Deutschland von den Umzugsplänen nichts liest, veröffentlichte die amerikanische Gesellschaft Nice-Pak International auf ihrem LinkedIn-Profil einen Artikel aus einem amerikanischen Onlinemagazin mit dem Titel „Nice-Pak gibt Schließung seines deutschen Werks bekannt“3 und nimmt zeitgleich die deutsche Homepage vom Netz. Laut dem Presseartikel vom 28.06.2024 hat Nice-Pak International (NPI – Tochtergesellschaft der US-amerikanischen Nice Pak Products) angekündigt, dass die deutsche Produktion in den britischen Werken in Flint und Wigan integriert wird. Wie uns zugetragen wurde, soll die Schließung des Werks bereits Ende November 2024 erfolgen. Aber wieso?
Corona, schlechte Geschäftsführung, fehlende Investitionen – Was ist der Grund der Schließung?
Schaut man sich im Internet einmal um, kann man einige Mitarbeiterkommentare lesen, welche dem Unternehmen bereits länger einen Mangel an zukunftsorientierter Wirtschaft vorwerfen. So teilte zum Beispiel eine ehemalige Mitarbeiterin bereits vor 5 Jahren als Google-Rezension4 für das Unternehmen folgendes mit:
„Das Unternehmen stößt nach 14 jähriger Marktpräsenz gerade an seine Grenzen. Es müssten Investitionen getätigt und innovative Entscheidungen getroffen werden, um konkurrenzfähig zu bleiben und die Zukunft der Mitarbeiter am Standort zu sichern. Aufgrund der Lenkung durch die Europazentrale mit Sitz in UK sorgt auch der Brexit momentan für noch mehr Unsicherheit am Standort Osterweddingen. Dies verschärft die ohnehin schon prekäre Situation im Hause NPG, welche durch die jahrelange Führungsschwäche der Geschäftsführung erzeugt wird. Hier agiert man aus dem Bauch heraus, ändert täglich die Prioritäten und versucht seine Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen. […]“
Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter berichtete vor 2 Jahren, dass der schlechte Ruf als Arbeitgeber bereits über die Belegschaft hinaus ginge:
„[…] Eine kleine Anekdote dazu war, dass man mir auf dem AA Magdeburg sagte, dort schon nicht mehr so gern Arbeitnehmer zu vermitteln, da die Chance einer dauerhaften Beschäftigung relativ gering ist.“
Doch was führte jetzt genau zu dem Schlussstrich? Da eine Anfrage unsererseits, bisher unbeantwortet blieb, haben wir uns einmal die Bilanz laut North Data5 angeschaut. Ja der Gewinn war für ein solch großes Unternehmen in den Jahren 2014 bis 2018 nicht hoch, aber er war da und trotz einem Verlust im Jahr 2017 zusammengerechnet immer noch bei einem Kapital von rund 1,1 Millionen. War es doch die Corona-Pandemie, obwohl Nice-Pak die EPA-Zulassung für die Herstellung von Desinfektionstüchern6 gegen das COVID-19-Virus erhalten hatte? Zählen sie somit nicht eigentlich mit zu den „Gewinnern“ aus der Pandemiekrise? Zumindest zählten sie während der Pandemiekrise zu den „MutMacher und Wegbereiter“7 in Sachsen-Anhalt.
Ziehen wir Bilanz
Mit dem Jahr 2019 kamen kontinuierlich die Verluste, aber wie kam es zu dem Sprung in 2021? Während das Unternehmen 2019 einen Verlust von 79.546 Euro und für das Jahr 2020 einen Verlust von 17.140 Euro vermeldet, stürzt es wirtschaftlich im Jahr 2021 scheinbar komplett ein. Das Kalenderjahr 2021 weist einen satten Verlust von über 1,9 Millionen Euro aus. Doch woran liegt das?
Schaut man sich die Seiten der Bilanz zum Stichtag 31.12.2022 einmal an, scheint es dem Unternehmen eigentlich gar nicht so schlecht zu gehen, wären da nicht rund 3,5 Millionen Euro Forderungen gegenüber den verbundenen Unternehmen, also scheinbar gegenüber den beiden Muttergesellschaften aus England und den USA. Die 23 Millionen Euro Fördermittel sind scheinbar aufgebraucht, das Anlagevermögen 2022 liegt für Anlagen, Technik, Grundstücke und Gebäude bei rund 4,6 Millionen Euro und zum Jahresende wurden bereits Produkte im Wert von rund 2,6 Millionen Euro fertiggestellt. Auch die Kapitalseite kann sich mit 600.000 Euro Stammkapital, rund 3,1 Millionen Euro Kapitalrücklage und einen Gewinnvortrag von rund 4,6 Millionen Euro doch sehen lassen und deckelt sogar ohne Forderungsausgleich der Muttergesellschaften die Verbindlichkeiten von 6,4 Millionen Euro. Während Corona doch ein positives Ergebnis, oder etwa nicht?
Noch besser wären die Ergebnisse vielleicht auch, wenn die Forderungen gegenüber dem eigenen Konzern regelmäßig ausgeglichen und so weiter investiert werden würde. Was muss also im letzten Jahr geschehen sein, dass solch ein Unternehmen ohne große Vorboten still und leise geschlossen wird? Wurde weithin nicht auf Mitarbeiterhinweise reagiert und somit die seit Jahren fehlenden und notwendigen Investitionen nicht getätigt? Wird hier lediglich die deutsche Tochtergesellschaft ausgehungert und abgestoßen, um die britische Muttergesellschaft aufzupäppeln? Kann das bei anderen großen Investitionsprojekten in Sachsen-Anhalt, wie zum Beispiel das große Intel-Projekt, auch passieren? Und was sagt eigentlich der Betriebsrat von Nice-Pak Deutschland GmbH dazu? Wir warten weiterhin auf ein Statement der Nice-Pak-Gruppe und berichten weiter. (WSM/scn)
- Ministerium für Wirtschaft und Arbeit – Pressemitteilung Nr.: 167/03 ↩︎
- Ministerium für Wirtschaft und Arbeit – Pressemitteilung Nr.: 126/05
↩︎ - Nice-Pak gibt Schließung seines deutschen Werks bekannt ↩︎
- Google-Rezensionen ↩︎
- North Data ↩︎
- Marktführer im Bereich Feuchttücher bringt rechtzeitig zum Winteransturm seine Marke Nice `N CLEAN® neu auf den Markt und erweitert sie um Desinfektionstücher, um dem anhaltenden Bedarf an wirksamem Schutz gerecht zu werden. ↩︎
- Investieren in Sachsen-Anhalt ↩︎
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